Leseproben





Glaub mir, es muss Liebe sein

LESEPROBE

Prolog

Ich befand mich vermutlich in den mittleren Jahren. Doch wann immer sie auch beginnen mochten - schließlich kann man die Mitte nur bemessen, wenn man Anfang und Ende kennt, und wer kann schon von sich behaupten (noch dazu mit Gewissheit!), im Besitz derart wichtiger Koordinaten seines Daseins zu sein?, – in diesen gefürchteten mittleren Jahren lügt die Liebe im großen Stil.

Plötzlich kommt sie mit Misstrauen und Angst daher. Mir schien es geradezu, als wolle ich mich Tag für Tag mehr in die Schwierigkeiten einleben. Immer öfter warf ich mir einen Mantel aus Melancholie über und dachte, er sei durchaus kleidsam. Dabei fraß die mühsame Beseitigung des Alltäglichen den letzten Rest Sarkasmus auf, den ich in Reserve hielt. Sarkasmus, der trösten sollte, weil ich mir so einredete, noch nicht aufgegeben zu haben. Wer zurückschlug oder zurückdachte, hatte nicht resigniert!

Die ursprünglich hoffnungsfrohe Sicht auf ein Leben in Liebe war vom Leben selbst verschluckt worden, und lag mir schwer im Magen. Es ist doch meist so: entweder man lebt schon einige Jahre in einer Beziehung, und sie ist sicher nicht mehr das leichte Ding von damals, sondern hat ein wenig Rost angesetzt. Die nächste Variante: Man hatte die Liebe noch nicht gefunden, suchte inzwischen panisch nach ihr und geriet dabei in Atemnot.

Das Wort ‚Outlet’ benennt eine Verkaufsstelle, in der ältere Modeartikel oder Restposten verkauft werden. Zu günstigen Preisen. Genauso schien es mir in meinen mittleren Jahren auf der Suche nach Liebe zu ergehen. Ich fühlte mich als Restposten, der günstig abzugeben war. Abstruse Entwicklung!, dachte ich bei mir. All das kann nur der himmelschreiende Verfall meiner einst mühsam zusammengehaltenen Gehirnzellen sein.



Ich wusste, dass ich zwischen zwei Welten lebte. Einer vorstellbaren und einer optisch-mentalen Täuschung. Ich überprüfte noch immer die Beziehung zu meinem Mann Thomas, die mehr und mehr verwässerte. Insgeheim war ich mir sicher, dass Liebe anders war, als das, was ich durchstand.

Unser Sexualleben war irgendwann während der letzten zwei Jahre träger geworden und schließlich vollständig zum Erliegen gekommen. Anfangs hatte ich nur hin und wieder darüber nachgedacht, was mit mir und ihm los war. Doch je mehr Monate vergingen, umso drängender wurde der schreckliche Verdacht, es könne sich um den Beginn einer sterbenden Liebe handeln. Einer, von der ich nicht mal mehr sagen konnte, wann sie ihren emotionalen Höhepunkt gefeiert hatte.

Immer öfter stand ich morgens vorm Spiegel und versuchte die letzten Reste Frausein irgendwo zwischen meinen üppigen rotbraunen Haaren, den noch ungeschminkten braunen Augen und meinen, wie ich fand, gerade richtig ausgeprägten Lippen zu finden. Meine Figur war zwar immer schon ein heikles Thema gewesen, aber mit dem Rest, vor allem mit meinem Gesicht, war ich durchaus zufrieden. Was trieb also ausgerechnet meinen Mann dazu, jegliches Interesse an der körperlichen Liebe zu verlieren? Und wieso war ich gezwungen, dieses Spiel mitzuspielen? Immer, wenn ich ihn auf unser Desaster ansprach, redete er sich heraus. Von wegen viel zu viel Arbeit und Rückenschmerzen. Es gab auch keine Anzeichen dafür, dass eine andere Frau dahintersteckte. Zumindest keine offensichtlichen. Und eine Therapie kam für Thomas schon gar nicht infrage. Von so was hielt er so viel, wie ich von einem Urlaub in der Antarktis. Er brauche lediglich ein bisschen Zeit für sich. Aber den Zeitrahmen, den er dabei im Auge hielt, konnte ich bald nicht mehr übersehen. Ich war verzweifelt.

Anstatt glücklich zu sein, hatte ich mich, vorläufig zumindest, mit allem abgefunden und ein Spinnennetz aus scheinbarer Gleichgültigkeit in meinem Gehirn ausgebreitet. Darin zappelte ich ums Überleben.

Das Einzige, was ich machen konnte, war leben!

Vielleicht hatte mir bisher aber auch nur eine Anleitung zur Liebe gefehlt?

Wenn ich richtig deprimiert war, las ich mir immer dasselbe Gedicht vor und las es immer wieder:

 Manchmal, wenn du müde von der Anstrengung um dein Glück bist und traurig über den Menschen neben dir der nicht falsch und doch nicht richtig ist, und auch wenn du erschrickst wegen all der Worte die einsam machen, dann soll Hoffnung dich wiegen, sicher sollst du sein im Schoß des Lebens...denn irgendwo ist Liebe!

Beim Lesen musste ich jedes Mal heulen. Etwas sagte mir, dass es genauso war, wie in diesen Zeilen beschrieben. Irgendwo war Liebe. Ich hatte allerdings etwas Wichtiges übersehen. Ich suchte bei Thomas danach anstatt bei mir.





Glutnester

LESEPROBE Nr. 1

In Kruchenhausen geht in dieser Minute ein Mann in die Knie. Hebt einen Slip auf, der sich vor ihm ausbreitet, wie ein Geschenk. Schlüpft mit dem Zeigefinger in die schmalste Stelle. Hebt ihn an. Der Slip vollführt einen verheißungsvollen Tanz vor seinen Augen. Der Mann führt sich den Stoff an die Nase. Gierig. Und saugt. Zieht den süßlich-intensiven Geruch des weiblichen Geschlechts ein. Eines Hautstücks, das sich noch vor kurzem in die Mitte des Slips geschmiegt hat. Passgenau. Eine sanfte, verborgene Blüte. Seine Nasenwände weiten sich, bis es nicht mehr geht. Seine Augen verengen sich zu abwesenden Schlitzen. Die Hand krümmt sich um den dünnen Stoff. Ballt sich zur Faust zusammen. Dann lässt alles nach. Abrupt. Die Augen springen auf. Die Hand lässt ab. Der Slip fällt zu Boden. Die Nase pustet Luft aus.
Jetzt fährt die Hand an den Reißverschluss seiner Hose. Er öffnet ihn hastig. Greift sich begierig unter einen anderen, dickeren Stoff. Spürt die bissige Hitze des freigelegten Fleisches. Das gewaltige Pochen der Lust empfängt ihn. Seine Hand umfasst das Fleisch endgültig. Er unterdrückt ein befreiendes Stöhnen. Das Tier wacht empört auf und fährt seine Krallen aus. Er hat längst aufgehört den Hunger in sich bezwingen zu wollen. Hat sich den schmatzenden Geräuschen, dem nicht enden wollenden Appetit, ergeben.  Sein Unterkiefer bewegt sich knirschend. Zermalmt jedes leise Wort der Schuld und der Ablehnung. In seinem Gehirn tanzen Stahlnägel. Wüten hart in ihm. Bohren und schlagen ein Loch des Nichtwissens. Er beginnt hart an sich zu arbeiten. Der Duft des Slips begleitet ihn. Sein Leben findet im eisigen Schatten seiner heißen Begierde statt. Und er muss gehorchen.



LESEPROBE Nr. 2

Elsa steigt die Treppe des Zweifamilienhauses hinauf. Vor einer weiß gestrichenen Tür bleibt sie stehen. Atmet bewusst ein und aus und streckt sich unmerklich dabei. Dann sucht ihr Zeigefinger sein Ziel. Einen kleinen, polierten Messingknopf. Die Klingel zu Ben Fürnkreis’ Wohnung. Elsa spürt kein Zaudern in sich, nur eine gesunde Anspannung, die der geplanten, nun in die Tat umgesetzten Handlung, dem Klingeln, vorausgeht. Ein eindringlich schriller Ton fährt ihr ins Ohr. Es dauert einen Moment. Dann wird die Tür geöffnet. Ben steht in Boxershorts und T-Shirt, mit nackten Füßen und Rasierschaum im Gesicht, vor ihr.
„Was machst du denn hier? Um die Zeit!“, Ben wirft einen irritierten Blick auf seine Armbanduhr, die an seinem Handgelenk plötzlich fehl am Platz wirkt, wenn man den Rest seiner Aufmachung bedenkt.
„Darf ich?“ Elsa betritt den Vorraum seiner Wohnung, ohne auf sein „Herein mit dir!“, zu warten. Ben, der zur Seite gewichen ist, wischt sich mit einem Handtuch, das auf der Anrichte im Flur offenbar von ihm abgelegt wurde, das Gesicht sauber. „Ist was passiert? Gibt’s Neuigkeiten?“, will er wissen.
„Ja.“ Elsa schaut ihn bestimmt an. Dann tritt sie vor. Ihre Jacke, die sie vorsorglich zugeknöpft hat, streift sein Shirt. „Ich bin endlich wach geworden“, erklärt sie.
„Aha. Ausgerechnet zur Schlafenszeit?“ Ben lacht und will Elsa mit seiner Hand, die er kaum merklich an ihre Schulter geführt hat, ins Wohnzimmer dirigieren.
„Warte!“ Elsa hält ihn mit einem weichen, spielerischen Blick zurück. „Was ich vorhabe, lässt sich auch hier verwirklichen.“
Sie lehnt sich erneut vor, ihm entgegen. Bis ihr Körper seinen tatsächlich berührt. Ben stößt leise die Luft aus den Lungen. Seine und ihre Haut sind lediglich durch dünne Schichten Kleidung voneinander getrennt. Er muss nur die nötige Fantasie aufbringen. Dann ist die Kleidung nicht länger existent. Dann drängt Elsa sich in ihrer ganzen verführerischen Nacktheit an seine bereite Haut.
„Elsa“, raunt er und birgt seinen Kopf einen innigen Moment lang in ihrer warmen Halsbeuge. Um den Geruch aufzusaugen, den sie durch die Tage trägt. Diesen für ihn schon so lange begehrlichen Geruch.
Sie hebt sachte den Kopf und visiert seinen Mund an, der noch nach Rasierschaum duftet. Präzise legt sie ihre Lippen auf seine. Ein erster, scheuer Kuss. Er öffnet sich ihr, lässt einen dünnen Spalt zwischen seinen Lippen entstehen. Elsa folgt ihm nach, breitet ihr feuchtes Fleisch unter ihm aus und lädt Bens Atem ein in ihr Platz zu nehmen. Sie spürt, wie er lautlos nachgibt. Wie seine Lippen sich an sie klammern, er seinen Mund fester auf ihren presst. Gleichzeitig schlingen seine Arme sich um ihren Körper. Und die ihren um seinen. Seine Zunge schiebt sich in ihre feuchtwarme Höhle hinein. Und ihre sich in ihn. Sie nehmen beide, wechselseitig, ihre intimen Geschmäcker in sich auf. Herbsüß. Ihre Lippen sind jetzt eine einzige Aufforderung. Eine wunderschöne Einladung für etwas Kommendes. Sie küsst ihn über den Beginn und das angenommene Ende seines Mundes hinweg. Bis zu den Wangen. Alles was er ist, auskostend. Einen Kuss in einer Intensität, wie sie es lange nicht mehr erlebt hat. Ben stöhnt auf. Er schiebt sie vorsichtig von sich weg. Ihre Lippen lösen sich schwer voneinander. Er schaut sie überrascht, aber auch begierig an.
„Was machst du mit mir“, flüstert er. Seine Hand fährt zärtlich ihren Arm entlang. Bis seine Finger an ihrer Hüfte liegen.
Eine greifbare Leichtigkeit dringt unerwartet in Elsas Körper. Sie spürt, wie alles in ihr schwerelos wird. Ihr Geist hat diese Leichtigkeit vorweggenommen. Jetzt bringt sie sie in die Realität ihres Körpers. In die Tatsächlichkeit des Moments. Ihre Sehnen, Muskeln, ihr Fleisch, ihr Blut, sämtliche Körperflüssigkeiten reagieren auf ihr Empfinden.
Elsa schaut Ben an und lächelt aus vollem Herzen. Warm, ehrlich und dabei auf friedvolle Art verletzbar. Eine Verletzlichkeit, die sie nicht länger fürchtet, sondern die sie sucht. Weil sie der Same jeder Lebendigkeit ist.
„Danke“, erwidert sie, obwohl das keine Antwort auf Bens Frage ist. Sie küsst ihn erneut. Diesmal flüchtig, dabei aber nicht weniger innig. „Ich danke dir sehr.“ Elsa löst ihre Hand von Bens Bauch. Dort hatte sie eine kurze Weile lang einen wunderbaren Ankerplatz gefunden. Sie lächelt ein letztes Mal.
Dann dreht sie sich um, erfasst die Türklinke, drückt sie hinunter und verlässt seine Wohnung. Er schaut ihr, einen kurzen Moment verdutzt, dann die Situation akzeptierend, hinterher. Bleibt allein im Vorraum zurück. Einem Raum, der sich mit ihrer beider beginnenden Lust, dem flüchtigen Zauber keimender Begierde aufgeladen hat.


No comments:

Post a Comment